Verschmelzung

verschmolzene Farben

Menschen lassen sich von der emotionalen Verfassung ihres Gegenübers oft anstecken und verschmelzen förmlich. Hintergrund ist unsere Neigung, Mimik, Körperhaltung und Körpersprache des anderen zu spiegeln. Dies geschieht völlig unbewusst. Durch die Muskelbewegungen werden Spiegelneuronen im Gehirn aktiviert. Die Nervenzellen im Gehirn reagieren, wenn eine Mimik, wie zum Beispiel Lachen, aktiv ausgeführt wird oder wenn dies bei jemand anderem beobachtet wird. Das Gehirn übernimmt dann die beobachtete Emotion und kopiert diese. Wir denken dann, dass dies unsere eigene ist, jedoch handelt es nur um eine kopierte. Dies fühlt sich so natürlich an, dass wir denken, es wäre unsere eigene. Wir brauchen keine Sprache, um zu wissen, was im Gegenüber vor sich geht, wie es ihm geht, woran er denkt und was er beabsichtigt zu tun. Emphatisches Wahrnehmen, Denken und Fühlen ist tief in unseren Gehirnstrukturen verankert und Voraussetzung für ein soziales Miteinander. Wir fühlen uns unbewusst genauso wie die anderen Menschen, die wir beobachten und mit denen wir zusammenleben. Die Unterschiede zwischen uns und den anderen verschwimmen, wenn die Spiegelneuronen aktiv sind.

Dies trifft nicht nur auf Menschen zu. Eine Studie aus dem Jahr 2019 stellte fest, dass eine emotionale Übertragung von Halter auf die Hunde stattfindet und dass die Intensität der emotionalen Übertragung von der Dauer der gemeinsamen Zeit mit Hund und Halter abhängt. Hunde spüren die innere Haltung ihres Halters deutlich und reagieren entsprechend. Habe ich als Besitzer Angst vor einer Hundebegegnung, so überträgt sich diese Angst auf den Hund und die Begegnung wird aller Wahrscheinlichkeit nach unangenehm. Der Hund verschmilzt mit dem Halter. Der Halter muss sich und seine Gefühle regulieren, um präsent und im Kontakt bleiben zu können. Als Halter ist er der Entscheidungsträger, der seinen Hund führt und muss dabei klar kommunizieren. Hunde hören dabei nicht die gesprochenen Worte oder Kommandos, sondern sie fühlen in erster Linie die Emotionen und die innere Haltung ihres Gegenübers. Einem Hund kann daher nichts vorgemacht werden. Passen Emotionen und Worte nicht zusammen, wird sich ein Hund immer an den gefühlten Emotionen orientieren.

Gleichzeitig können Menschen sich von den Emotionen des Hundes anstecken lassen und diese übernehmen. Es findet dann eine Verschmelzung mit den Emotionen des Hundes statt. So kann eine Angst des Hundes von einem Menschen gleichfalls als Bedrohung wahrgenommen werden. 

Eine Verschmelzung ist weder für einen selbst noch für das Gegenüber, egal ob Mensch oder Tier, förderlich. Die Frage ist nun, wie wir es schaffen uns abzugrenzen? Kein einfaches Unterfangen angesichts derartiger neurologischer Veranlagungen bei uns selbst und unserer Identität zu bleiben. Durch die Zweiteilung unseres Gehirns in eine rechte und linkte Großhirnhemisphäre könnte die notwendige organische Voraussetzung dafür bestehen. Die rechte Gehirnhälfte sorgt dafür, dass wir symbiotisch mitschwingen, während die linke Gehirnhälfte uns unsere eigene Identität erleben lässt. Abgrenzung ist daher notwendige Voraussetzung für echten Kontakt. 

Wer sich selbst verliert und seine Identität nicht kennt, also nicht weiß, wer er ist, kann kein wirkliches Verständnis für andere haben. Authentische Empathie für andere kann nur aufbringen, wer ein gutes „Mit“Gefühl für sich selbst entwickelt hat. 

Wir dürfen also wieder einmal an uns selbst arbeiten und Verantwortung für uns und unsere Gefühle übernehmen. Dazu gehört zunächst einmal die Wahrnehmung unserer eigenen Gefühle und Emotionen und das Zulassen derselben. 

Quellen: 

Stacey Colino, Ansteckende Emotionen: Hunde und ihre Besitzer fühlen gleich; https://www.nationalgeographic.de/tiere/2021/10/ansteckende-emotionen-hunde-und-ihre-besitzer-fuehlen-gleich

Franz Ruppert, Symbiose und Autonomie, 2013

Front. Psychol., Sec. Comparative Psychology, https://doi.org/10.3389/fpsyg.2019.01678

 

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