Wie sehr beeinflusst unsere Stimmung unser allgemeines Wohlbefinden? Nehmen wir das Beispiel Ärgern. Jeder kennt es. Wohl die meisten von uns ärgern sich tagtäglich, sei es über die Arbeit, die Kollegen, den Nachbar, den Partner, das Wetter. Die Gründe, sich zu ärgern, sind mannigfaltig. Manchmal wissen wir gar nicht so genau, warum. Aber wir ärgern uns und finden dabei zahlreiche „Mitärgerer“. Jeder, dem wir von unserem Ärger erzählen, ärgert sich entweder mit uns oder hat seine eigene Ärger-Geschichte, die er sogleich zum Besten gibt. Wir sind fast schon süchtig danach und befinden uns in einer regelrechten Abwärtsspirale. Gute Laune wird fast schon misstrauisch beäugt. Denn wir können kaum mehr glauben, dass jemand wirklich gute Laune hat, bei all den schlimmen Sachen, die scheinbar im Außen passieren. Wie kann man da schließlich noch gut gelaunt sein?
Ärger ist fester Bestandteil auch in meinem Leben geworden. Wer bin ich eigentlich, wenn ich mich nicht ärgere? Daher habe ich mich auf die Suche begeben. Warum ist das so und können wir das ändern? Sich immer zu ärgern, führt nicht zu einem zufriedenen Leben. Und muss das wirklich so sein?
Was macht also Ärgern mit unserem Gehirn? Ärgern wir uns, so ist unser Reptilienhirn aktiv. Unser Gehirn gliedert sich in 3 Teile auf. Den Neocortex (zuständig für das kognitive Denken), das limbische System (zuständig für unsere Gefühle) und das Stammhirn (Reptiliengehirn). Das Reptiliengehirn ist für unser Überleben und die unbewussten Dinge sowie für die Instinkte und Reflexe zuständig. Es reguliert alle Abläufe im Körper, die notwendig sind, um das Überleben zu sichern wie z.B. Schlaf, Herz- Kreislaufsystem, Appetit, Atmung, Verdauung. Wir denken nicht über diese Funktionen nach. Sie funktionieren automatisch. Sind wir nun bedroht, so stellt es die notwendige Energie für Kampf oder Flucht bereit. Wenn große Gefahr droht, wird das Notprogramm aktiviert. Die Amygdala, als Teil des limbischen Systems und vor allem verantwortlich für das Entstehen von Angstgefühlen, schickt Informationen an das Stammhirn, damit überlebensnotwendige Energien für Kampf und Flucht zur Verfügung gestellt werden.
Es kommt zur Ausschüttung von Stresshormonen. Je mehr Stresshormone wir produzieren und ausschütten, desto länger befinden wir uns im Überlebensmodus. Die Funktion von Stresshormonen wie Cortisol, Adrenalin und Noradrenalin ist es, uns am Leben zu erhalten. Dies geschieht durch die Reaktionen von Fight or Flight, also Flucht oder Angriff. Ärgern wir uns, so geschieht unbewusst jede Menge in unserem Körper. Unser Körper gerät in Stress. Dumm nur, dass der Rausch nach Adrenalin auch süchtig machen kann und wir uns immer wieder in diesen versetzen wollen.
Ein weiterer nicht zu vernachlässigender Faktor ist Trauma. Traumas sind nicht nur akute Schocktraumas wie beispielsweise ein Verkehrsunfall. Auch Bindungstraumata, die wir in unserem Aufwachsen erlitten haben, führen dazu. Ein Bindungstrauma entsteht z.B. wenn ein Elternteil nicht in der Lage war, seine Emotionen zu regulieren und wir sehr früh Verantwortung übernommen haben. Unser Nervensystem ist sehr clever. Es entscheidet sich immer für Sicherheit. Sind wir in einer friedvollen, liebevollen Familie aufgewachsen, wäre das für uns sicher. Waren unsere Eltern dagegen oft sehr ärgerlich oder haben sich aufgeregt, so ist diese Umgebung für uns sicher. Wir haben also gelernt, Ärger mit Sicherheit zu assoziieren. Zugleich haben wir so Bindung mit unser Ursprungsfamilie aufgebaut. Es entsteht ein Teufelkreis. Ärger = Bindung = Sicherheit. Haben wir keine Bindung, können wir als Baby oder Kleinkind nicht überleben. Und wieder kommt der Überlebensmodus ins Spiel. Anstatt uns des Lebens zu freuen, ärgern wir uns lieber zusammen mit unseren Eltern und bauen so die Bindung aus, denn schließlich schweißen Gemeinsamkeiten zusammen und sei es die Vorliebe für negative Emotionen. Dumm nur, dass wir das später nicht abschalten können. Unser Nervensystem wurde über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte trainiert, Ärger als sicher zu empfinden und sucht sich immer ganz unterbewusst jede Menge Ärger. Wir suchen uns also z.B. ein Umfeld aus, das uns viel ärgern lässt. Denn dort fühlen wir uns ja wohl. Damit ziehen wir das automatisch in unser Leben und wundern uns, warum wir eigentlich immer von negativen Menschen umgeben sind. Dabei ist es nicht unwahrscheinlich, dass wir der Sender sind und unser Umfeld von uns beeinflusst wird.
Was können wir jetzt eigentlich tun? Gibt es Strategien gegen schlechte Laune? Befragen wir das Internet, so gibt es tausende Lösungsvorschläge und kluge Ratschläge. Ich glaube nicht, dass es DEN einen Weg gibt. Jeder ist individuell und so ist auch der eigene Weg, damit umzugehen. Wir können nicht einfach einen Schalter umlegen und uns ab jetzt nicht mehr ärgern. Manchmal ist es auch einfach notwendig und hilfreich, sich zu ärgern. Es soll auch nicht darum gehen, nur noch positive Emotionen zuzulassen. Alle Emotionen sind wichtig. Befinden wir uns jedoch in einer Ärger-Negativ-Spirale und gibt es außer uns keine normalen Menschen mehr, dann sollten wir vielleicht hinterfragen, was wir eigentlich damit zu tun haben.
Quellen:
https://institut-trauma-paedagogik.de/fachliches-vom-institut/12-fachliches-vom-institut/paula/11-was-ist-das-dreieinige-gehirn-nach-paul-maclean
https://www.gesundheit.de/krankheiten/druesen-und-hormone/nebenniere/adrenalin
Vera F. Birkenbihl, Jeden Tag weniger ärgern! Das Anti-Ärger-Buch für ein entspannteres Leben.(2020)