Da Darmbeschwerden in meiner Beobachtung mittlerweile fast schon eine Volkskrankheit geworden sind, möchte ich mich diesmal dem Darm ausführlicher widmen.
Der Darm ist so viel mehr als ein reines Ausscheidungsorgan, er zählt zu den endokrinen Drüsen und ist für unser Nervensystem und Immunsystem von großer Bedeutung.
Die primäre Funktion des Darms besteht darin, die Nahrung zu verdauen und die darin enthaltenen Nährstoffe aufzunehmen. Sobald wir Essen zu uns nehmen, beginnt der Verdauungsprozess im Mund und setzt sich im Magen fort. Danach gelangt der Speisebrei in den Dünndarm, wo die eigentliche Nährstoffaufnahme stattfindet. Kleine fingerartige Ausstülpungen, die sogenannten Zotten, bedecken die Oberfläche des Dünndarms und ermöglichen eine maximale Nährstoffabsorption.
Unser Darm spielt eine große Rolle bei der Stärkung unseres Immunsystems. Über 70% unserer Immunzellen befinden sich im Darm. Die Darmwand bildet eine Barriere gegen potenziell schädliche Mikroorganismen und Toxine aus unserer Nahrung. Gleichzeitig unterstützt der Darm das Wachstum von nützlichen Bakterien, die als probiotische Mikroorganismen bekannt sind und zur Gesundheit unseres Darms und unseres gesamten Körpers beitragen. Schließlich kann eine gestörte Darmgesundheit zu Entzündungen führen, die sich negativ auf die Hormonproduktion und -regulation auswirken können. Chronische Entzündungen im Darm können das hormonelle Gleichgewicht stören und zu Hormonstörungen (z.B. PCOS) führen, die sich auf den gesamten Körper auswirken können.
Hormonproduktion: Das Darmmikrobiom, die Gemeinschaft von Billionen von Mikroorganismen im Darm, kann Hormone produzieren und beeinflussen. Zum Beispiel produzieren einige Darmbakterien Neurotransmitter wie Serotonin, der als „Glückshormon“ bekannt ist und Stimmung, Schlaf und Appetit reguliert.
Enteroendokrine Zellen: Der Darm enthält spezielle Zellen, sogenannte enteroendokrine Zellen, die Hormone direkt in den Blutkreislauf abgeben. Diese Hormone, wie Ghrelin (Hungerhormon) und Peptid YY (Sättigungshormon), spielen eine Schlüsselrolle bei der Regulation des Appetits und des Energiehaushalts.
Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (HPA-Achse): Der Darm kann die HPA-Achse beeinflussen, die eine zentrale Rolle in der Stressreaktion und der Regulation von Cortisol (Stresshormon) spielt. Veränderungen im Darmmikrobiom können die HPA-Achse aktivieren und die Cortisolproduktion beeinflussen.
Östrogenmetabolismus: Das Darmmikrobiom spielt eine Rolle im Östrogenmetabolismus, indem es die Wiederverwertung von Östrogenen im Körper reguliert. Bestimmte Darmbakterien, u.a. Clostridien und Bacteroides, bekannt als Östrobolom, produzieren das Enzym Beta-Glucuronidase, das hilft, inaktive Östrogene im Darm zu reaktivieren und wieder in den Blutkreislauf zu bringen. Ein Ungleichgewicht in diesen Bakterien kann jedoch sowohl zu einer Unter- als auch zu einer Überversorgung mit Östrogen führen. In beiden Fällen kommt es zu Verschiebungen im Östrogenhaushalt, was zu diversen hormonellen Beschwerden führen kann. Für ein hormonelles Gleichgewicht ist eine gesunde Darmflora wichtig.
Im Dickdarm, dem letzten Abschnitt des Verdauungstrakts, leben Billionen von Bakterien, die als Darmflora bezeichnet werden. Einige dieser Bakterien sind in der Lage, verschiedene Vitamine, wie zum Beispiel Biotin und Vitamin K, zu produzieren. Eine gesunde Darmflora fördert die Vitaminproduktion und trägt somit zu einer optimalen Nährstoffversorgung bei.
Der Darm spielt natürlich auch eine große Rolle bei der Entgiftung unseres Körpers. Toxine, die durch den Verzehr von ungesunden Lebensmitteln, Umweltverschmutzung oder anderen Quellen in unseren Körper gelangen, werden größtenteils im Darm neutralisiert und ausgeschieden. Eine gut funktionierende Darmfunktion ist daher entscheidend für die Entgiftung und Reinigung unseres Körpers.
Die Kommunikation zwischen unserem Darm und unserem Gehirn wird als „Darm-Hirn-Achse“ bezeichnet. Diese bidirektionale Verbindung ermöglicht es dem Darm und dem Gehirn, miteinander zu kommunizieren und Informationen auszutauschen. Interessanterweise verlaufen etwa 80-90% der Signale des Vagusnervs vom Darm zum Gehirn und nur etwa 10-20% vom Gehirn zum Darm. Das zeigt, wie stark der Darm unser Gehirn beeinflusst.
Wir sehen also, der Darm ist ein Dreh- und Angelpunkt, wenn es um unsere Gesundheit geht. Auch wenn wir Beschwerden gar nicht mit dem Darm verbinden, könnte dennoch der Darm die Ursache sein. Einen Test zu machen und sich sein Mikrobiom einmal näher und umfassend anzusehen, macht in jedem Fall Sinn. Denn nur so können Darmprobleme auch gezielt angegangen werden.
Giulia Enders, Darm mit Charme, Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2014
https://www.tisso.de/de/wissen/blog/darm-hirn-achse/